Großpösna ist nicht Paris
Unser Redakteur Oscar hat sich diesen Sommer erstmals auf einem Festival herumgetrieben und für uns seine Erfahrungen dokumentiert - Hochs und Tiefs sowie originelle Beobachtungen inklusive.
"Ein Abenteuer beginnt an dem Punkt, wo Dinge anfangen schief zu laufen" Diese Kalenderblatt-Weisheit, welche mir irgendwann in die Instagram Timeline gespült wurde beschreibt meine Highfield-Festival-Erfahrung ziemlich genau. Wie bei vielen ersten Malen war die Vorbereitung mangelhaft, die Erwartungen hoch und das Erlebnis...sagen wir spannend? Aber fangen wir von vorne an:
Es gibt Menschen, die ihre Belastungsgrenze regelmäßig austesten und erweitern. Manche laufen einen Marathon, andere experimentieren mit der menschlich möglichen Maximalmenge Vodka-Energy. Ich hingegen trainiere meine Stresstoleranz, indem ich mein Zeitfenster zum Packen vor einem Termin sehr einschränke. Um 1 wollten wir uns nach einer Stunde Fahrt am Festivalgelände treffen. Also begann ich panisch um 11:45 Speed-Tetris mit meinem Gepäck zu spielen. Als ich dann aber unnötige Dinge wie Gummistiefel, ein Handtuch und Klebeband wieder auspackte, ging das Einladen sofort viel leichter. Köpfchen muss man haben.
Als ich spät an diesem Abend hundemüde in meinen Schlafsack kroch, konnte ich mich gefühlsmäßig gut in Frodo und seine Gefährten hineinfühlen. Denn der Weg vom Auto bis zum finalen Schlafplatz war lang. Unsere späte Anreise und meine mehr als lückenhafte Vorbereitung führten außerdem dazu, dass ich viel überflüssiges Zeug einmal quer über das Campinggelände schleppte und weit und breit kein freies Stück Grünfläche zu finden war. Also „erweiterten“ wir kurzerhand die Campingbegrenzung. Nachdem die Zelte und der Pavillon nach Augenmaß gut standen, ging es los zum eigentlichen Festivalgelände.
© Oscar
Der Abend begann für uns mit der agressiv-gut gelaunten Band „Electric Callboy“. Ich kannte die Jungs aus Castrop-Rauxel nur durch meine Freunde. Doch wie es bei vielen Bands der Fall ist, sind die Live-Auftritte eine Nummer für sich. Mit dem Nachfolger „Bring me the Horizon“ bin ich nicht wirklich warm geworden. Mein persönliches Highlight war „Kraftklub“: Ich höre die Band schon lange, konnte aber noch nie live dabei sein. Das Gimmick des Auftritts war das Glücksrad, wo Fortuna dem Publikum die Möglichlichkeit gewährte, den Song „Teil dieser Band“ eine Woche vor Release zu hören. Leider machten sich kurz vor Ende meine Füße bemerkbar und wir bahnten uns den Weg zurück zum Zelt.
Der 2. Tag war geprägt von revolutionären Entdeckungen: Es stellte sich zum Beispiel heraus, dass Wasser tatsächlich bergab fließt. Unser neu angelegter Zeltplatz befand sich an einem kleinen Abhang und Dank unseres hohen Intellekts und schnellen Auffassungsgabe hatten wir das Zelt mit dem Eingang zur Erhöhung hin aufgebaut-so liegt es sich ja auch viel bequemer. Nachdem ich also meinen Morgen mit dem hoffnungslosen Auswringen von triefnassen Socken und Unterhosen verbracht hatte, bewegten wir unser Nachtlager ein paar Meter weiter Richtung Bühnen. Dabei brach eine meiner Zeltstangen sauber in der Mitte durch, weswegen ich den Rest des Festivals in einer labbrigen Konstruktion aus Klebeband und sehr viel naivem Optimismus verbrachte.
© Oscar
Die nächste Erkenntnis folgte auf dem Weg zu den Toiletten. Viel Wasser von oben und breitgetretene Erde zusammen mit Birkenstocks sind keine gute Kombination. Alle paar Meter blieb ich im Morast stecken und verabschiedete mich schon moralisch von meinen Schlappen. 2 Stunden und eine Autofahrt nach Markleeberg später, stand ich mit neuen Gummistiefeln an den Füßen wieder in unserer kleinen Zeltstadt. Um den Frust hinunter zu spülen, öffnete ich eine Packung mit asiatischen Trockennudeln und ein großes Hopfenmalzgetränk.
Für die Anstrengungen des Vormittages wurde ich abends mit fantastischen Auftritten von „Kummer“, „Deichkind“ und „Sido“ belohnt. Bei Letzterem muss ich immer schmunzeln, wenn seine Musik in meiner Playlist auftaucht. Denn Sido scheint sich nicht entscheiden zu können, ob er wie früher der harte Gangster aus’m Block, der liebevolle Familienvater oder der Kalendersprüche rappende Weltverbesserer ist. Eine krasse Show hat er trotzdem abgeliefert.
Sonntag um 11 Uhr standen wir mit 20 anderen Leuten vor der Strandbühne und schauten uns die Mischung aus Soundcheck, Stand-Up und zwischengemischten Songs der „Screenshots“ an. Mittlerweile schien auch wieder die Sonne und so konnte ich meine Unterhosen wenigstens trocken wieder mitnehmen. Die letzten Shows unseres Wochenendes waren „Nura" und „Leoniden". Nura hat gute Stimmung gemacht und zwischendurch mit einem Fan auf der Bühne gekifft. Also Karl: Wann Bubatz legal?! Wikipedia definiert Leoniden als „einen Meteorstrom, der alljährlich im November zu beobachten ist.“ Ich weiß nicht, wie ich das auf die Musik beziehen soll, aber es war ein schöner Abschluss. Auf dem Rückweg zum Auto wuchs meine Dankbarkeit an mein vergangenes Ich für die Auswahl des „Grüner Wohnen“ Festival Tickets. Der ‚normale‘ Campingbereich glich einem Schlachtfeld: Von aufgerissenen Müllbeuteln bis zu zurückgelassenen Pavillons war alles auf dem Gelände verteilt. Anscheinend hatten Viele nicht nur ihre Gummistiefel, sondern auch ihre Hemmungen zu Hause vergessen. Nachdem wir uns noch kurz mit der Parkplatz-Security angelegt hatten, umarmten wir uns und kurz darauf sah ich meine Freunde im Rückspiegel verschwinden.
Wenn man meinen Festivalbericht liest, könnte man den Eindruck bekommen, ich hätte keine gute Zeit gehabt. Doch ich möchte keinen Teil davon missen (außer vielleicht die nassen Unterhosen). Denn als ich Sonntagabend müde und müffelnd meine Wohnung aufschloss, freute ich mich schon aufs nächste Jahr.